Kurze Übersicht über das Leben von Imam An-Nawawi

Imam Muhyid-Din Abu Zakariya Yahya ibn Scharaf an-Nawawi ad­Damaschqi asch-Schafi’i, ist bekannt unter dem Namen Imam An-Nawawi. Sein Vorname ist Muhyid-Din. Nach seinem Vorfahren Hazam an-Nawawi wird er auch Hazami genannt.

Imam An-Nawawi wurde im Monat Muharram des Jahres 631 n.H. (1233 n.Chr.) in einer frommen Familie aus Nawa, einem Dorf südlich von Damaskus geboren. Imam An-Nawawi verbrachte seine ganze Jugend in diesem Dorf, wo er auch den Qur’an auswendig lernte. Al-Maraqischi, ein Gelehrter aus Nawa sagte hierzu: Ich sah Scheich An-Nawawi in Nawa, als er etwa 10 Jahre alt war. Andere Jungen seines Alters pflegten ihn zu drängen mit ihnen zu spielen, doch der Scheich wollte nie mit ihnen spielen, sondern sich immer nur mit seinen Studien beschäftigen. Sobald sie aber darauf bestanden, dass er sich ihren Spielen anschließe, fing er (aus Widerwillen) an zu weinen. Der Gelehrte Al-Maraqischi sagte weiter: Von diesem Augenblick an begann ich (den Imam) An-Nawawi unheimlich gern zu haben.

Der Vater Imam An-Nawawis wollte, dass sein Sohn in seinem Geschäft mitarbeite, doch aufgrund seiner außergewöhnlichen Veranlagung mochte dies letzterer nicht. Er war zu einer vortrefflicheren Aufgabe bestimmt. Daher zeigte er keine Neigung zu Geschäften. In dieser Zeit vollendete er sein Qur’an-Studium und entlastete sich tüchtig mit dieser ersten Etappe seines Studiums.

Von nun an erkannte An-Nawawis Vater die himmlisch intellektuelle Begabung seines Sohnes. Um den Wissensdurst seines Sohnes zu stillen, beschloss der Vater, für eine angemessene und geziemende Erziehung seines Sohnes zu sorgen. Daher brachte er ihn nach Damaskus, welches damals eine Wiege der Gelehrsamkeit war. In Damaskus begann Imam An-Nawawi seine Studien bei dem bekannten Lehrer Kamal ibn Ahmad. Imam An-Nawawi erzählte: Als ich 19 Jahre alt war, brachte mich mein Vater nach Damaskus, wo ich mich der Rawahiya-Medresse anschloss. (1)

In diesem Lehrinstitut studierte ich zwei Jahre lang. Während ich die Rawahiya-Medresse besuchte, lebte ich von der Nahrung, die in der Schule verteilt wurde. Bereits nach achtzehn Wochen konnte ich das Buch At-Tanbih auswendig. Danach lernte ich noch ein paar Teile des Buches Al-Muhaddab auswendig, doch den Großteil meiner Zeit verbrachte ich mit dem Studium von Kommentaren und mit der Korrektur von Büchern. Als mein Lehrer Ishaq al-Maghribi (r.A.) (2) mein Interesse und den Fortschritt in meinen Studien sah begann er, mich unheimlich gern zu haben und er schenkte meiner Erziehung noch größere Aufmerksamkeit. Im Jahre 650 n.H. vollzog ich mit meinem Vater die Pilgerfahrt (Haddsch) und blieb sechs Wochen lang in Medina.

Seine Beschäftigung mit seinen Studien

Ata-ud-Din ihn al-Attar berichtet, dass Scheich An-Nawawi ihm erzählte, dass er bei seinen Lehrern jeden Tag zwölf verschiedene Fächer studierte, darunter das Studium des Buches Sahih Muslim, Syntax und Etymologie, Logik und Grundlagen der islamischen Rechtswissenschaft (Fiqh) u.a.. Imam An-Nawawi erzählte weiter: Allah, der Allmächtige, hat meine Zeit und mein Gedächtnis gesegnet, und Er befähigte mich, meine Studien zu vollenden. Er enthüllte auch die Tatsache, dass er einst dachte: Ich solle Medizin studieren und für diesen Zweck erwarb ich sogar ein Buch über dieses Thema. Doch bald danach empfand ich Düsternis und Lustlosigkeit, als ob mein Herz in Finsternis gefallen wäre so sehr, dass ich sogar das Interesse und die Beherrschung für meine Lieblingsfächer verlor. Dieser Zustand hielt einige Zeit an, bis mir plötzlich das Licht aufging, meine Medizinstudien seien mir von keinem Nutzen. Daher verkaufte ich sofort das Medizinbuch und entfernte alle Literatur zu diesem Fach aus meinem Haus. Dies verschaffte mir Entlastung und erleichterte mein Herz.

Seine Lehrer und Meister

Imam An-Nawawi lernte Hadith-Wissenschaften bei den berühmtesten Hadith-Gelehrten seiner Zeit und wurde von den größten Gelehrten in islamischer Rechtswissenschaft und ihren Grundlagen, sowie in Logik unterrichtet. Zu seinen Lehrern zählten:

1. Abu Ibrahim Ishaq ibn Ahmad al-Maghribi
2. Abu Muhammad Abdur-Rahman ibn Nuh al-Maqdisi
3. Abu Hafs Umar ihn As’ad ar-Rib’i
4. Abul-Hasan al-Arbali
5. Abu lshaq lbrahim al-Muradi
6. Abul-Baqa Khalid ihn Yusuf an-Nablusi
7. Ad-Diya ihn Tasam al-Hanafi
8. Abul-‘Abbas Ahmad al-Misri
9. Abu Abdullah al-Dschiyani
10. Abul-Fath ‘Umar ihn Bandar
11. Abu Ishaq al-Wasiti
12. Abu ‘Abbas al-Maghribi
13. Abu Muhammad at-Tanukhi
14. Abu Muhammad Abdur-Rahman al-Anbari
15. Abul-Faradsch al-Maqdisi
16. Abu Muhammad al-Ansari etc.

Seine Schüler

Ebenso lang wie die Liste seiner Lehrer ist auch die seiner Schüler:

1. Ala-ud-Din ihn al-Attar
2. Abul-Abbas Ahmad ibn Ibrahim
3. Abul-Abbas al-Dscha’fari
4. Abul-Abbas Ahmad ibn Faradsch
5. Raschid lsma’il ibn Mu’allim al-Hanafi
6. Abu Abdullah al-Hanbali
7. Abul-‘Abbas al-Wasiti
8. Dschamal-ud-Din Sulaiman ihn ‘Umar ad-Dari’i
9. Abul-Faradsch al-Maqdisi
10. Badr Muhammad ihn Ibrahim
11. Schams Muhammad ihn Abi Bakr
12. Schihab Muhammad ihn Abdul-Khaliq
13. Scharaf Hibbullah
14. Abul-Haddschadsch al-Mazini etc.

Seine Frömmigkeit

Imam An-Nawawi war nicht nur ein vorzüglicher Gelehrter, Wissenschaftler und Literat par excellence, er war ebenso ein äußerst frommer Mensch, hingebungsvoll im Gebet und ein demütiger Derwisch. Er folgte streng der Sunna bzw. den Überlieferungen und Praktiken des Propheten Muhammad (s.a.s.). Er pflegte nur einfache grobe Nahrung zu essen und lehnte Einladungen zu aufwendigen Essen und Festen ab. Er trug stets Kleidung aus grobem Stoff, und so lebte er bis zu seinem Lebensende (3).

Die gebildeten Personen, die Elite der Gesellschaft und die einfachen Menschen jener Zeit respektierten Imam An-Nawawi sehr, vor allem wegen seiner Frömmigkeit, seiner Bildung und seines ausgezeichneten Charakters. Sie hielten stets nach Gelegenheit Ausschau, ihm etwas zukommen zu lassen, doch niemals nahm er etwas von irgendjemandem als Gabe oder Geschenk an, da er ein Leben in völliger Zurückgezogenheit von der Welt führte und jeglichen Pomp und jede Zurschaustellung und weltlichen Reichtum ablehnte. Der Imam lehnte jegliches Taschengeld, jede Unterstützung oder Gunst des jeweiligen Herrschers ab. Man sagt, dass Imam An-Nawawi nur einmal ein kleines Wassergefäß von einem Armen annahm. Nur weil dieser darauf bestand, aß er einfache und grobe Nahrung eines religiösen Gelehrten, die dieser ihm nach Hause geschickt hatte. Mit Ausnahme dieser beiden Vorkommnisse nahm er niemals irgendetwas von irgendjemandem an, noch aß er irgendetwas, das ihm von irgendjemandem geschickt wurde. Ebenso aß er nie Obst, einfach deshalb, weil die Gärten von Damaskus, aus denen das Obst kam, Lehensbesitz waren bzw. aus widerrechtlicher oder verbotener Anteilspacht kamen. (4)

Imam An-Nawawi verbrachte seine meiste Zeit mit der Verbreitung und Erweiterung seines religiösen Wissens, sowie mit Gebeten und Bußübungen. Er pflegte sich nur wenig auszuruhen und nahm täglich nur eine Mahlzeit zu sich und trank auch nur einmal am Tag.

Seine Werke

Imam An-Nawawi lebte nur etwa 45 Jahre, doch selbst in dieser kurzen Zeit schrieb er eine große Anzahl von Büchern zu unterschiedlichen Themen, von denen jedes einzelne ein Meisterwerk und einen Schatz voll dauerhaften Wissens und Kenntnissen darstellt. Einige seiner Werke seien nachfolgend aufgeführt:

1. Kommentar zu “Sahib Al-Bukhari”. Über dieses Buch sagte Imam An­ Nawawi selbst: “In diesem Kommentar habe ich beträchtliches und wertvolles Wissen dargeboten.”

2. Kommentar zu Sahib Muslim “Al-Minhadsch fi scharhi Muslim ihn al-Haddschadsch”. Über diesen Kommentar sagte Imam An-Nawawi: “Hätte ich nicht mangelndes Durchhaltevermögen und eine geringe Anzahl von Lesern befürchtet, wäre ich ein wenig ausführlicher geworden und hätte das Werk auf mehr als 100 Bände ausgedehnt, doch (aus diesem Grund) habe ich mich an einen mittleren Umfang gehalten.” Dieses Kommentarwerk umfasst derzeit lediglich zwei Bände. Der Gelehrte Schams-ud-Din Muhammad ihn Yusuf al-Qanawi al-Hanafi (gest. 788 n.H.) hat diese Arbeit unter dem Titel “Mukhtasar” zusammengefasst.

3. “Riyad-us-Salihin, von Kalami Sayyid-il-Mursalin”, eine Sammlung von nahezu 2000 ausgewählten, doch zuverlässigen Überlieferungen, bestätigt durch relevante Qur’anverse und ist nach Themen geordnet.

4. “Kitab-ur-Rauda”, eine Zusammenfassung von “Scharh Kabir ar­Raf’i”

5. Kommentar zu “Al-Muhaddab”

6. “Tahdhib-ul-Asma’ was-Sifat”

7. “Kitab-ul-Azkar”

8. “Al-Arba’in” (5)

9. “At-Taqrib”

10. “Al-Irschad Ulum-ul-Hadith”

11. “Al-Maqsid”

12. “Hilyat-ul-Abrar” oder “Al-Adhkar” (6)

13. “At-Tibyan fi Adabi Hamalat-ul-Qur’an”

14. “Raudat-ut-Talibin”

15. “Al-Fatawa”

16. “Scharh Sunan Abi Dawud”

17. “Tabaqat Fuqaha asch-Schafiya”

18. “Risala fis-Tihbabil-Qiyami li-Ahlil-Fadl”

19. “Khulasat-ul-Ahkam”

20. “Manaqib asch-Schafi’iya”

21. “Bustan-ul-‘Arifin”

22. “Mukhtasar Usd-ul-Ghaba”. und weitere Werke.

Sein Tod

Im Jahre 676 n.H. (d.i. 1279 n.Chr.) gab Imam An-Nawawi alle Bücher, die er sich geliehen hatte, ihren rechtmäßigen Besitzern zurück, besuchte die Gräber seiner Lehrer und Vorfahren und betete für sie. Dabei war er so bewegt, dass er zu weinen begann. Danach verabschiedete er sich von seinen Freunden und Verehrern und begab sich in sein Heimatdorf Nawa. Einige seiner Bekannten begleiteten ihn bis vor Damaskus, um ihm Lebewohl zu sagen. Sie fragten ihn: Wann sehen wir uns wieder? Der Imam sagte: “In zweihundert Jahren.” Diejenigen, die dabei waren verstanden das so, dass der Imam meinte, am Tag des Jüngsten Gerichts.

Sodann begab der Imam sich nach Jerusalem (Bait-ul-Maqdis) und besuchte die Grabstätte des Propheten Abraham (as) (7), dann kehrte er in sein Heimatdorf Nawa zurück. Bald nach seiner Ankunft dort erkrankte er und verstarb in der Nacht zum Mittwoch, den 14. Radschab 676 (d.i. 1279 n.Chr.), noch zu Lebzeiten seines Vaters.

Als die Nachricht von seinem Tod Damaskus erreichte, versanken Stadt und Umland in tiefe Trauer und die Muslime wurden von Kummer überwältigt. Der oberste Qadi von Damaskus, Izz-ud-Din Muhammad ibn as-Saigh, besuchte das Grab von Imam An-Nawawi in Nawa mitsamt einer Delegation von Würdenträgern und betete für ihn. Zahlreiche Dichter verfassten Elegien, die den Imam lobpreisen und sein Dahinscheiden beklagten. Der Gelehrte Wali-ud-Din ibn al-Khatib (rA), der Verfasser des Mischkat-ul-Anwar widmete dem Imam An-Nawawi sein Buch Al-Ikmal fi Asma-ir-Ridschal.

(1) Gemeint ist die von Hibatullah ihn Muhammad al-Ansari, bekannt als “Ibn Rawaha”, in der Nähe der Umayyaden-Moschee gegründete Schule für die Schafi’iten. Er wohnte in jener Schule, schloss sich dann dem Darul-Hadith, einer wissenschaftlichen Stiftung des Wohltäters Abdullah ihn Muhammad ibn Abi Asrun at-Tamimi al-Musili (gest. 585 n.H), an. Siehe auch: Zuhair asch-Schawisch, Vorwort des Riyad-us-Salihin Bearbeitung von Nasirud-Din al-Albani.
(2) (rA) “rahimahu-llah”: Allah erbarme sich seiner.
(3) Er starb im Jahre 676 n.H. im Alter von erst 45 Jahren.
(4) Über die verbotene Art der Anteilspacht und Nutzung von Ackerland im Islam siehe Jusuf Al-Qaradawi: “Erlaubtes und Verbotenes im Islam”. München 1989, S. 23- 56.
(5) Ins Deutsche übersetzt unter dem Titel: “Al-Nawawi: Vierzig Hadithe”. München 1990
(6) Nach Zuhair asch-Schawisch sind nicht alle Hadithe dieses Werkes einwandfrei.
(7) Bei der Nennung von Propheten pflegt der Muslim den Segenswunsch ‘”alaihis-Salam” (auf Deutsch: “Friede sei mit ihm”) hinzuzufügen.