Stichler

(arab. : Al-Humaza) Die Kommentatoren der Sura 104 sind sich nicht einig darüber, welche Person aus der Zeit des Propheten Muhammad, Allahs Segen und Friede auf ihm, im Besonderen mit dem “Stichler” gemeint ist; genannt werden Al-Ahnas Ibn Suraiq, der die Menschen zu bekritteln und zu tadeln pflegte, Al-Walid Ibn Al-Mugira, der den Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, in dessen Anwesenheit beleidigte und auch hinter dessen Rücken verleumdete, Ubaiyy Ibn Halaf und schließlich Dschamil Ibn Amir vom Stamme der Thaqif.

Auch wenn nicht klar ist, ob mit dem “Stichler, Verleumder” eine bestimmte Person gemeint ist oder nicht, so hat doch die im ersten Vers ausgesprochene Drohung “Wehe! ” allgemeine Gültigkeit für jeden, der andere lästert oder verleumdet.

Die beiden Wörter “Humaza”, (Stichler), und “Lumaza” (Verleumder), sind nach der arabischen Wortbildungslehre Formen der “Übertreibung”, die ausdrücken, dass jemand etwas Bestimmtes ständig oder immer wieder tut.

Das Wort “Humaza” ist abgeleitet von dem Verb “hamaza” (sticheln, herabsetzten) ; seine Grundbedeutung ist “anstacheln”; denn eine Verleumdung führt gewissermaßen zu einer Anstachelung und Aufhetzung der Verleumdeten und aller der Personen, die mit der Angelegenheit zu tun haben.

Das Wort “Lumaza” ist abgeleitet von dem Verb “lamaza” (bekritteln, lästern, verleumden) mit der Grundbedeutung “mit den Augen zuzwinkern”. Ein derartiges Verhalten wird im Quran als höchst verabscheuungswürdig bezeichnet; so heißt es z. B. in Sura 49, Vers 11:
O ihr, die ihr glaubt! Lasst nicht eine Schar über die andere spotten, vielleicht sind diese besser als jene; noch (lasset) Frauen über (andere) Frauen (spotten), vielleicht sind diese besser als jene. Und verleumdet einander nicht und gebt einander keine Schimpfnamen. Schlimm ist die Bezeichnung der Sündhaftigkeit, nachdem man den Glauben (angenommen) hat, und jene die nicht umkehren – das sind die Ungerechten. “

Und im nächsten Vers derselben Sura heißt es sogar: ”
O ihr, die ihr glaubt! Vermeidet häufigen Argwohn; denn mancher Argwohn ist Sünde. Und spioniert nicht und führt keine üble Nachrede übereinander. Würde wohl einer von euch gerne das Fleisch seines toten Bruders essen? Sicher würdet ihr es verabscheuen. So fürchtet Allah. Wahrlich, Allah ist Gnädig, Barmherzig. “

Das Wort “der” im zweiten Vers der Sura 104, ”[. . . D.h. der ein Vermögen zusammenträgt und es gezählt zurücklegt“, bezieht sich auf den im ersten Vers genannten “Stichler, Verleumder”, so dass man hieraus schließen könnte, dass möglicherweise mit dieser Bezeichnung doch eine bestimmte Person aus der Zeit des Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, gemeint ist; denn nicht jeder “Stichler, Verleumder” ist unbedingt auch jemand, “der ein Vermögen zusammenträgt und es gezählt zurücklegt”.

Es kann jedoch auch gemeint sein, dass ein “Stichler, Verleumder” in den meisten Fällen auch ein habgieriger, geiziger Mensch ist, auch wenn diese zweite Eigenschaft nicht Bedingung für die erste ist. Wie dem auch sei – die Drohung “Wehe! ” gilt, wie bereits erwähnt, allgemein für jeden Stichler und Verleumder, und sie gilt ebenso für jeden, “der ein Vermögen zusammenträgt und es gezählt zurücklegt”, in welchem Zeitalter er auch leben mag.

Der Verleumder, wie er in dieser Sura beschrieben wird, trägt also ein Vermögen zusammen und legt es für schwere Zeiten, für die Wechselfälle des Lebens oder für seine Kinder und Erben zurück. Nach einigen Kommentatoren bedeutet das Wort “addadah” nicht “zurücklegen, bereitstellen”, sondern “zählen” oder “stolz sein auf, sich rühmen mit”. Gemeint ist mit der Aussage in diesem Vers der Geiz und das Zurückhalten des Vermögens, so dass sein Besitzer es hortet und spart und nicht für gute und Allah (t) wohlgefällige Zwecke ausgibt. Besitz von Vermögen allein gilt im Islam keineswegs als verwerflich – einige Gefährten des Propheten, Allahs Segen und Friede auf ihm, wie z. B. Uthman Ibn Affan (r), der spätere dritte Kalif, waren reich und hatten ihr Vermögen auf rechtmäßige Weise erworben, doch sie hielten es nicht in Geiz und Habgier für sich selbst oder ihre Erben zurück, wenn von ihnen verlangt wurde, es für die Sache Allahs und für das Wohl der Muslime auszugeben.

Dieser Vers richtet sich nicht gegen den Besitz von Vermögen an sich, sondern vielmehr gegen das Zurückhalten reichlich vorhandenen Vermögens von seiner Verwendung für wohltätige und der islamischen Gemeinschaft nützliche Zwecke, und ein derartiges Verhalten gilt als höchst tadelnswert.

Auch andere Quran-Stellen nehmen darauf Bezug; so heißt es z. B. in Sura 68, Vers 10-12: ”
Und füge dich nicht irgendeinem verächtlichen Schwüremacher, Verleumder, einem, der umhergeht, um üble Nachrede zu verbreiten, einem Behinderer des Guten, Übertreter, Sünder. “

Und in Sura 70, Vers 17f. lesen wir: ”
Den wird sie (die Feuerflamme) rufen, der (Mir) den Rücken kehrt und sich (von Mir) abwendet und (Reichtum) aufhäuft und hortet. “

Wie abscheulich ein derartiger Geiz im Ermessen Allahs ist, wird insbesondere deutlich in Sura 9, Vers 34f., wo Allah (t) die Strafe dafür schildert: ”
Und jenen, die Gold und Silber horten und es nicht für Allahs Weg verwenden – ihnen verheiße schmerzliche Strafe. An dem Tage, wo es (Gold und Silber) im Feuer der Dschahannam glühend gemacht wird und ihre Stirnen und ihre Seiten und ihre Rücken damit gebrandmarkt werden (wird ihnen gesagt): Dies ist, was ihr für euch selbst gehortet habt; kostet nun, was ihr zu horten pflegtet.“

Das Wort, das im Arabischen für “unsterblich machen” im dritten Vers dieser Sura steht, lautet “ahladah”. Nach einigen Kommentatoren ist damit gemeint, dass die erwähnte Person glaube, das gehortete Vermögen schenke ihr ein langes Leben, länger als das der Armen. Nach Meinung anderer wird in diesem Vers eine Lebenseinstellung beschrieben, die ausschließlich auf das Diesseits und auf den Erwerb materieller Güter gerichtet ist – als ob der Mensch unsterblich sei, als ob er nicht all diese Besitztümer mit seinem Tode verlieren würde oder als ob er sich durch sie Unsterblichkeit erkaufen könne.

Wohl noch nie in der Geschichte der Menschheit war diese materialistische Lebenseinstellung so verbreitet wie in unserer Zeit und insbesondere in der westlichen Welt: Konsum und der Erwerb materieller Werte sind für viele Menschen gleichsam zum eigentlichen Lebensinhalt geworden. Die Vorstellung, einmal sterben zu müssen, ist ihnen so unerträglich, dass sie diesen Gedanken völlig aus ihrem Bewusstsein verdrängen, den Tod aus ihrem Denken einfach ausklammern – so, als seien sie unsterblich, obwohl auch schon der Begriff der Unsterblichkeit ihrem Denken fremd geworden ist.

Gerade dieser Vers zeigt in großartiger Deutlichkeit, dass die quranischen Aussagen auch 1400 Jahre nach ihrer Offenbarung nicht im mindesten von ihrer Aktualität verloren haben, sondern dass sie in aller Welt und zu allen Zeiten ihre Gültigkeit haben.

Im vierten Vers folgt nun klar und abweisend die Antwort Allahs darauf, Er, Der weiß, dass kein materielles Vermögen das Leben des einzelnen auch nur um einen Moment über die ihm festgesetzte Frist hinaus zu verlängern vermag. Die Antwort Allahs darauf: “Aber nein! ” Stattdessen hat der “Stichler, Verleumder”, der “ein Vermögen zusammenträgt und gezählt zurücklegt”, zu erwarten, dass er in die “Al-Hutama” geworfen wird. “Al-Hutama” ist wie die beiden Wörter “Humaza” und “Lumaza” nach demselben grammatischen Muster eine Form der “Übertreibung”. Es ist abgeleitet von dem Verb “hattama”, “zerbrechen, zerschmettern, zertrümmern”. “Al-Hutama” heißt also eigentlich “der Zerbrecher, der Zerschmetterer”. Weil man sich aber unter diesem Begriff nur schwer etwas Bestimmtes vorstellen kann, folgt nach der rhetorischen Frage im fünften Vers: ”
Doch was lässt dich wissen, was die Al-Hutama ist? , eine genauere Angabe darüber im sechsten Vers: ”
(Es ist) Allahs angezündetes Feuer. “

Dies ist nicht irgendein Feuer, wie wir es im diesseitigen Leben kennen, sondern das Feuer Allahs, das Er erschaffen hat, um darin die Menschen zu bestrafen, die Ihn verleugnen oder Seine Gebote und Verbote missachten. Es ist das Höllenfeuer, das alles und jeden zerbricht, der hineingeworfen wird – möge Allah uns von ihm fernhalten. Amin. Immer wieder im Quran weist uns Allah (t) in Seiner Gnade auf dieses “Feuer” hin und schildert die Qualen der Hölle, um die Menschen zu warnen und sie von frevelhaftem Tun abzubringen.

Dieses von Allah (t) angezündete Feuer erlöscht niemals, und sein “Vordringen bis zum Innersten der Herzen”, wie im siebten Vers beschrieben, bedeutet, dass es die Leiber der Verdammten ganz verzehrt bis auf das Innerste der Herzen. Sodann bekommen die Insassen dieses Feuers neue Leiber, die ebenfalls vom Feuer verzehrt werden, und so fort, so dass sie andauernde Pein erleiden müssen. Würde auch das Innerste der Herzen vom Feuer vernichtet, müssten die Verdammten sterben und hätten als Tote keinen Schmerz mehr zu ertragen. So aber empfinden sie mit dem Innersten ihrer Herzen den gesamten Schmerz und befinden sich in einem Zustand, der weder Leben noch Tod ist.

In Sura 87, Vers 11ff. heißt es dazu: ”
[. . . Dh der Unselige, der im größten Feuer brennt, und in ihm wird er weder sterben noch leben. “

Das “Innerste des Herzens” ist der Sitz für die Entscheidung des Einzelnen, ob er den Weg des Glaubens oder den des Unglaubens einschlagen und schlechte Taten begehen will. Darin sehen einige Kommentatoren den Grund, warum das Innerste der Herzen hier besonders erwähnt wird.

Das Feuer “Al-Hutama” oder die von ihm ausgehenden Flammen, die im achten Vers genannt werden, schlagen über die Verdammten so zusammen, dass sie völlig vom Feuer umgeben und darin eingeschlossen sind. Dies wird auch in Sura 90, Vers 20 beschrieben: ”
[. . . Dh sie werden vom Feuer ringsum eingeschlossen sein. “

D. h. geschlossenes oder einschließendes Feuer. Über die genauere Erklärung der “langgestreckten Säulen” im letzten Vers dieser Sura sind sich die Kommentatoren nicht ganz einig. Nach einigen sind es Fesseln und Blöcke, in die Füße, Hände oder Nacken gelegt werden, nach anderen Stangen aus dem Höllenfeuer, mit denen die Verdammten gepeinigt werden.

Am ehesten ist jedoch anzunehmen, dass es sich dabei um die hoch emporschießenden Flammen handelt, die wie Säulen wirken und wie Säulen den Baldachin von Feuer tragen, in dem die Verdammten wie in einem Käfig eingeschlossen sind.

(—-> Spötter)